Sieben Thesen über die Zukunft der Bibliotheken

Professor Dr. Konrad Umlauf hat die diesjährige Karl-Preusker-Medaille erhalten. In seiner Dankesrede formuliert er sieben Thesen “über die Zukunft der Bibliotheken”, die ich hier auch wegen der nachfolgenden Diskussion auf Inetbib wiedergeben möchte:

«Künftige Bibliotheken werden kaum noch als Bibliotheken zu erkennen sein. Sie werden in fluiden Gebäuden untergebracht sein, wie sie etwa der geplante Neubau der Öffentlichen Bibliothek in Helsinki verkörpert – als größtmöglicher Gegensatz zum extrem introvertierten und hermetischen Neubau der Stadtbibliothek Stuttgart. Die Gebäude werden auch andere Dienstleister als die Bibliothek behausen, beispielsweise Einrichtungen, die heute als Volkshochschule firmieren, vielleicht auch Bürgerämter. Wo im Gebäude noch Volkshochschule ist und wo Bibliothek anfängt, wird man nicht erkennen können. Vielleicht findet Bibliothek auf den Galerieflächen vor den Kursräumen der Volkshochschule statt. Öffnungszeiten wird es nicht mehr geben, weil die fluiden Gebäude jederzeit zugänglich sind; eine Bindung des Zugangs an die Anwesenheit bibliothekarischen Personals wird es nicht geben.

Die Dienstleistungen der Bibliothek werden auch noch die Mediennutzung – mehr Downloads und Streamings als physische Ausleihen – umfassen. Im Vordergrund werden weniger von Mitarbeitern erbrachte Dienstleistungen stehen, sondern die Aktivitäten der Nutzer: Lernen individuell und in Arbeitsgruppen, Lernen aus Spaß und Lernen für die Schule, Experimente mit neuer Musik und mit neuer Software, beflügelnde Gespräche und inspirierende virtuelle Realitäten, Lernen von anderen Nutzern und lernen aus Medien, Programmieren innovativer Anwendungen und Studieren historischer Artefakte. Benutzer werden mehr Auskünfte voneinander als von den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren erhalten.

Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare werden die Nutzer bei diesen Aktivitäten unterstützen und sie beraten, wie sie ihre Ziele besser erreichen können. Diese Beratung wird Medienzugänge einbeziehen, aber dabei werden die Medien der eigenen Bibliothek keine dominante Rolle spielen, weil Medien noch stärker als heute omnipräsent und frei zugänglich sein werden. Benutzer werden mehr Medien untereinander leihen und tauschen als aus der Bibliothek beziehen. Vielleicht gilt das für Krimis mehr als für Klassiker. Jedenfalls wird künftig sicher auch die Belletristik ihren Stellenwert haben.

Dabei müssen sich die Bibliothekarinnen und Bibliothekare der Tatsache stellen, dass nicht alle Ziele aller Nutzer die Gemeinschaft fördern und die Gesellschaft voranbringen. Ethische Grundsätze werden deshalb im bibliothekarischen Handeln an Bedeutung gewinnen.

Herkömmliche Dienstleistungen wie Bestandsmanagement oder Rückordnen physischer Medien werden weitgehend von externen Dienstleistern erbracht werden oder automatisiert sein. Bei diesen Dienstleistern werden auch Bibliothekarinnen und Bibliothekare tätig sein. Sie werden mehr damit beschäftigt sein, Systeme und Dienstleistungen weiterzuentwickeln als Dienstleistungen zu erbringen.

Überhaupt wird der bibliothekarische Beruf noch stärker als heute seine Bindung an die Institution Bibliothek verlieren, weil das, was das bibliothekarische Kerngeschäft ist – Informationsmanagement und Beratung – überall gebraucht wird.

Umgekehrt versuchen sich auf derartigen Feldern nicht wenige Berufstätige anderer Berufe mit mehr oder minder gutem Erfolg. Deshalb werden berufsbegleitende weiterbildende Studiengänge an Bedeutung gewinnen – wenn wir auf diesen Wandel richtig reagieren.»

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