Rafael Ball tritt Bibliotheks-Debatte los

ETH-Bibliotheks-Direktor Rafael Ball hat durch seine Aussagen im NZZ am Sonntag-Interview «Weg mit den Büchern!» vom 7.2.2016 eine kontroverse Debatte ausgelöst (bisher 48 Kommentare). ETH-Professor Michael Hagner widerspricht ihm in der NZZ (12.2.2016) unter dem Titel «Bibliotheken ohne Bücher? Über eine Zukunftsvision, die ein Horrorszenario sein könnte» (bis jetzt 5 Kommentare). Auf SRF Kultur2 vom 11.2.2016 widerspricht ihm auch Rudolf Mumenthaler, Professor an der HTW Chur. Seine Meinung zum Thema ist ausführlicher auf seinem Blog unter dem Titel «Sind Bibliotheken überflüssig? Eine Replik (8.2.2016)» und unter «Bibliotheksbranche im Umbruch und in Aufruhr (12.2.2016)» nachzulesen.

Stephan Holländer kommentiert unter dem Titel «Rafael Ball: Ein Insider-Blick aus der Schweiz (13.2.2016)» auf der Plattform Password.

Die SRF2-Sendung vom 10.2.2016 «Macht das Internet Bücher überflüssig?» interviewt Rafael Ball und fragt nach. Auf «Wofür brauchen wir noch Bücher und Bibliotheken?» ist das Interview schriftlich nachzulesen.

Leserkommentare sind auf srf.ch/kultur unter dem Titel «Bücher sind von gestern? User haben eine andere Meinung (11.2.2016)» zusammengefasst.

Im VÖBBLOG gibt es u.a. einen Kommentar von Werner Schlacher (Präsident der VÖB) und Herbert Staub (Präsident BIS Bibliothek Information Schweiz).

Die beiden Berufsverbände BIS und SAB reichen am 10.2.2016 bei der ETH-Leitung eine Beschwerde ein (via swiss-lib):

«Hat Rafael Ball, der Direktor der ETH-Bibliothek, mit dem Interview in der NZZ am Sonntag vom 7. Februar 2016 und dem Nachzieher auf SRF2 Kultur vom 10. Februar 2016 erreicht, was er wollte? Provozieren? Eine Diskussion anstossen? Wir wissen es nicht.

Mit seinen Aussagen hat er sich auf alle Fälle disqualifiziert und eine ganze Branche diskreditiert. Er bedient Klischees und alte Vorurteile, gegen die sich Bibliotheken seit langer Zeit zur Wehr setzen. Es sind Aussagen von Leuten, deren letzte Bibliotheksbesuche Jahrzehnte zurückliegen und die Bibliotheken als verstaubte Bücherausleihstationen in Erinnerung haben. Es sind Argumente von Politikern, die unter Spardruck stehen. Es ist Ignoranz. Rafael Ball, der Direktor der grössten Schweizer Bibliothek, müsste es besser wissen.

Die beiden Verbände BIS und SAB setzen sich für die Bibliotheken ein. Mit der Grundausbildung und Weiterbildungsprogrammen unterstützen und fördern sie den Wandel einer ganzen Branche. Mit Kampagnen und Lobbyarbeit geben sie den Bibliotheken eine Stimme. Die Veränderungen im Bibliotheksbereich, früher vielleicht der Tradition und Bewahrung verpflichtet, sind immanent. Die Aufgaben, die Bibliotheken übernehmen, werden immer vielfältiger und komplexer – sei das in der Wissenschaft oder im Gemeinwesen. BIS und SAB wehren sich dagegen, dass die enormen Leistungen der Bibliotheken von heute so unreflektiert kaputtgeredet werden.»

Klaus Graf zitiert auf Archivalia am 7.2.2016 gewisse Aussagen des Ball-Interviews unter dem Titel «Das Internet mache Bibliotheken überflüssig, sagt der Chef der ETH-Bibliothek» und widerspricht.

Der Klett-Cotta-Verlagsblog vom 10.2.2016 zitiert und widerspricht unter dem Titel «Das Internet ist nicht das Ende der Bibliotheken«.

Ben Kaden blickt im Libreas-Artikel «Bibliotheksgeschichte aktuell: Ein Blick auf Rafael Ball und Ideen zur Literaturversorgung im Jahr 1997 (11.2.2016)» auf Balls Entwicklung als Bibliotheks-Theoretiker (via Archivalia).

Philippe Wampfler schreibt unter dem Titel «Die Bibliotheken-Provokation – und was Schulen daraus lernen können (11.2.2016)» u.a.:

«Damit ist nicht gesagt, dass es die Dienstleistungen, die Bibliotheken erbringen, nicht mehr braucht. Einige sind sehr wichtig – wenn wir von »Informations- und Kommunikationszentren« sprechen, wie das Ball tut, dann wird deutlich, dass es solche Zentren auch im Netz braucht, dass die Pflege von digitalen Wissensbeständen kein Selbstläufer ist, sondern von bezahlten Fachleuten geleistet werden muss. Solche müssen Menschen auch helfen, mit digitalen Informationen umzugehen, sie abzurufen und zu publizieren. Es wird auch weiterhin Räume brauchen, in denen Menschen Informationen studieren und verarbeiten können.

Nur: Diese Dienstleistungen und diese Räume definieren sich schon heute nicht mehr über gedruckte Bücher. Das gilt besonders für Schulbibliotheken: Werden sie seriös geführt, haben sie das Mantra, dass seriöse Informationen eher in Büchern als im Netz zu finden seien, über Bord geworfen. Sie investieren Geld, Zeit und andere Ressourcen nicht in den Aufbau von Sammlungen physischer Datenträger, sondern in die Digitalisierung und die Vermittlung des Umgang mit digitaler Information. Sie laden zum Arbeiten und Nachdenken ein, aber ohne gedruckten Texten den Vorrang zu geben.

Am Schluss bleibt die Frage nach der digitalen Kluft: Was machen Menschen, die nicht gelernt haben, digitale Bücher zu lesen; die Filme nicht im Netz streamen können oder ihren Kindern keinen gehaltvollen Content auf Tablets zur Verfügung stellen können? Hier würde ich – anders als Ball – Gemeindebibliotheken einen viel sanfteren Übergang wünschen als wissenschaftlichen und schulischen Bibliotheken, die einen radikalen Schnitt machen können.»

Auf swiss-lib sind zahlreiche Kommentare zum Artikel erschienen. Die Arbeitsgruppe Berufsethik erinnert z.B. an den Ethikkodex des BIS für Bibliothekare und Informationsfachleute und schreibt in ihrer Stellungsnahme u.a.:

«(…) Im Speziellen soll Herr Ball sich „für den Fortbestand der Informationseinrichtungen“ einsetzen, „um auch weiterhin freien Zugang zu Informationsressourcen jeglicher Art zu garantieren“ (Zugang zu Informationen); „zwischen [seinen] persönlichen Überzeugungen und [seinen] beruflichen Pflichten“ unterscheiden und seine „privaten Interessen und persönlichen Überzeugungen zugunsten des Neutralitätsgebots hintenan“ stellen (Neutralität und Fachkompetenz);

Des Weiteren soll Herr Ball „insbesondere auf spezielle Nutzergruppen, die eines besonderen Schutzes bedürfen“ achten. Dies tut er gerade nicht, wenn er sich herablassend zeigt gegenüber jenen, die keinen Zugang zum Internet haben oder sich den Kauf von Büchern nicht leisten können. Schliesslich soll Herr Ball folgende zwei Prinzipien beachten: „Informationsfachleute gehen fair und respektvoll miteinander um. Sie konkurrieren nicht mit unlauteren Mitteln mit ihren Kollegen. Sie konsultieren ihre Kollegen und fördern die Dialogbereitschaft […] bemühen sich um Verbesserung des Ansehens und der Anerkennung der Informationsfachleute durch Professionalität und ethisches Verhalten.“

Die Arbeitsgruppe Berufsethik des BIS bedauert und verurteilt deshalb entschlossen Herrn Balls Äusserungen in der NZZ am Sonntag. Sie stellen lapidare Vereinfachungen über einen Bereich der Bibliothekswelt dar, in welchem sich Herr Ball offensichtlich wenig auskennt (allgemein-­öffentliche Bibliotheken) und widersprechen den hier in Erinnerung gerufenen berufsethischen Prinzipien.»

Digital Brainstorming vom 12.2.2016 fasst unter dem Titel «Macht die Digitalisierung Bibliotheken überflüssig?» u.a. Michael Hagners Argumente zusammen:

««Dem gedruckten Buch geht es erstaunlich gut, und das wird auch für längere Zeit so bleiben. Warum? Weil es zahllose Leserinnen und Leser gibt, die lieber ein gedrucktes Buch nach Hause tragen und lesen, als die Lizenz für ein E-Book zu erwerben, die ihnen jederzeit wieder entzogen werden kann; und überdies mögen sie es nicht, beim Lesen Datenlieferanten für die grossen Unternehmen des Informationskapitalismus zu sein. »
Zwei Gedanken nimmt er auf: Das gedruckte Buch ist immer noch länger haltbar als die digitalen Informationen. Kein Mensch weiss, was davon in hundert Jahren noch lesbar sein wird.»

Schwer wiegt auch das zweite Argument: Die digitale Information gerade im Bereich der Wissenschaft liegt heute in den Händen von einigen wenigen Verlagen wie Elsevier, Wiley und Springer, welche einen Grossteil der wissenschaftlichen Publikationen kontrollieren. Der Zugang zur Information kontrolliert der US-amerikanischen Suchdienst Google. Das sind nicht unbedingt beruhigende Perspektiven.»

Die IG WBS startet am 12.2.2016 eine Chronologie der Debatte unter dem Titel «Bibliotheken ohne Bücher? Eine Debatte – Update«.

Perlentaucher.de zitiert in 9punkt – Die Debattenrundschau vom 12.2.2016 unter «Wissenschaft» Michael Hagners Aussagen in der NZZ:

«Sehr streng antwortet der Buchhistoriker Michael Hagner auf ein Interview des Zürcher Universitätsbibliothekars Rafael Ball, der in der NZZ am Sonntag Bibliotheken ohne Bücher gefordert hatte: «Ein Bibliothekar, der die Forderung aufstellt, man solle endlich die Hemmungen vor elektronischen Büchern überwinden, und der darüber hinaus Bibliotheken zu quasi bücherfreien Zonen erklärt, hat nicht nur seinen Beruf verfehlt, er mischt sich auch in Forschungspraktiken ein, die ihn gar nichts angehen. Käme irgendein Universitätspräsident auf die Idee, von Physikern oder Chemikern zu fordern, auf Experimente zu verzichten und nur noch Simulationen durchzuführen?»»

Christoph Deeg kommentiert im Blogpost «Quo Vadis Öffentliche Bibliotheken – Gedanken zum NZZ-Interview von Rafael Ball (ETH-Bibliothek) (13.2.2016» u.a.:

«In dem Interview wird ein Bild von öffentlichen Bibliotheken erzeugt, welches so schlichtweg falsch ist. Ich habe in den letzten Jahren mehr als 100 Bibliotheken in Deutschland/Schweiz/Österreich auf ihrem Weg in die digital-analoge Bibliothekswelt beraten und begleitet. Letztes Jahr durfte ich dazu auch eine kleine Workshop-Tour durch die Schweiz durchführen. Neben den Themen Social Media und Gaming geht es vor allem um die Entwicklung und Realisierung digital-analoger Bibliotheksstrategien. Im Moment begleite ich z.B. vier Bibliotheken über einen Zeitraum von 18 Monaten und bin dabei auch an der Gestaltung von Neubauten beteiligt, d.h. das Digitale wird zu einer Querschnittsfunktion durch die ganze Bibliotheksarbeit. Ich schreibe dies um aufzuzeigen, dass ich sehr viele öffentliche Bibliotheken kenne. Und ich kenne auch die vorhandenen Strukturen und Probleme. Die öffentlichen Bibliotheken sind schon viel weiter, als es das Interview vermuten lässt. Wir brauchen nicht mehr zwingend nach Aarhus zu pilgern um zu sehen, was in Bibliotheken möglich ist – wir haben eine Vielzahl an spannenden Konzepten sowohl in sehr großen als auch in sehr kleinen Einrichtungen in ganz Deutschland/Schweiz/Österreich. (…)

Es geht weder um ein Abschaffen des Buches noch um eine Zwangs-Digitalisierung. Es geht darum, früh den digital-analogen Lebensraum aktiv zu gestalten. Insofern bleibt zu hoffen, dass diese Diskussion schnell in eine andere Richtung geführt wird. Wir sollten nicht darüber nachdenken, ob man Bibliotheken noch braucht, sondern was getan werden muss, damit die Bibliotheken ihren Weg hin zu einer digital-analogen Bildungs- und Kulturinstitution gehen können. Ohne künstlich herbeigeredeten Konflikt zwischen vermeintlich alt und vermeintlich neu. Meine Erfahrungen mit Bibliotheken in der Schweiz haben gezeigt, dass die Bereitschaft vor Ort längst vorhanden ist. Ich lade Raphael Ball deshalb gerne ein, mit mir zusammen Bibliotheken in Deutschland/Österreich/Schweiz zu besuchen und den digital-analogen Wandel live zu erleben. Dann kann die ETH-Bibliothek als Innovationsträger der Bibliothekswelt mit ihren Ressourcen, Netzwerken und Mitarbeitern Konzepte erstellen, die den öffentlichen Bibliotheken auf diesem Weg helfen…»

Im «Weiterbildungsblog» wird die Debatte am 9.2.2016 erwähnt:

«Rafael Ball hat der NZZ am Sonntag ein Interview gegeben, das viel gelesen und kommentiert wurde (z.B. hier). Darin spricht er eigentlich Altbekanntes aus: dass nämlich das Internet das Geschäftsmodell der Bibliotheken auf den Prüfstand stellt, dass sie als Kulturgut möglicherweise “überbewertet” werden, dass es heute keine gedruckten Bücher mehr braucht, usw. Stattdessen sollten sich Bibliotheken lieber als Kommunikationszentren neu erfinden, mit neuen Angeboten und Dienstleistungen. Die Reaktionen auf das Interview lassen sich möglicherweise damit erklären, dass Rafael Ball die ETH-Bibliothek in Zürich leitet. Bei Vertretern dieser Berufsgruppe unterstellt man halt ein sinnliches Verhältnis zum Buch und erwartet nicht Sätze wie “Für mich beruflich als Bibliothekar wird das Buch künftig kein entscheidendes Medium mehr sein”.

Update: Die Bibliotheksdirektoren Claus Ceynowa (Bayerische Staatsbibliothek) und Andreas Degkwitz (Universitätsbibliothek der Humboldt Universität zu Berlin) reagieren in der NZZ vom 14.2.2016 unter dem Titel «Das Buch hat Zukunft«.

NB-Direktorin Marie-Christine Doffey schreibt unter dem Titel «Die Klischeebibliothek gibt es nicht» einen Leserbrief an die NZZ am Sonntag (Ausgabe vom 14.2.2016):

«Bücher in Bibliotheken würden erst dann überflüssig, wenn die Nachfrage danach drastisch zurückginge. Wer sie vorher abschaffen will, masst sich an, einen grossen Teil des Publikums auf eine bestimmte Informationsschiene zu zwingen. Bibliotheken sollten gerade die Chancen nutzen, die ihnen die Doppelgesichtigkeit der Welt der Informationen bietet: nämlich ihre Inhalte soweit möglich sowohl gedruckt wie auch online anbieten. Jedenfalls versuchen wir das als Nationalbibliothek, soweit es rechtlich erlaubt ist und soweit wir es innerhalb unseres Erhaltungsauftrags und unseres Budgets umsetzen können.»

Auf Inetbib wird ebenfalls diskutiert: 15.2.2016, 14.2.2016, 10.2.2016, 9.2.2016, 8.2.2016, 7.2.2016

Die Bibliotheksbeauftragte des Kantons Aargau, Jasmin Leuze und die Aargauische Bibliothekskommission unter der Leitung von Thomas Pauli-Gabi reagieren am 15.2.2016 mit einem Brief an Rafael Ball unter der Betreffzeile «Weg mit den Büchern! Eine kritische Rückantwort aus dem Aargau«:

«Die Aargauer Bibliothekskolleginnen und Bibliothekskollegen engagieren sich mit sehr viel Kompetenz und Überzeugungskraft für die Zukunft ihrer Bibliotheken. Es besteht die Gefahr, dass Ihre Aussagen als Direktor der renommierten ETH-Bibliothek, die eine öffentlichkeitswirksame Ausstrahlung hat, von der politischen Ebene undifferenziert übernommen wird und die Arbeit vor Ort erschwert. Wir sind überzeugt, dass die Bibliotheken im Kanton Aargau nicht überflüssig sind und auch zukünftig alltagsrelevante Einrichtungen für die Aargauer Bevölkerung sein werden. Wir laden Sie herzlich ein, sich anhand der beigelegten Bibliotheksstrategie ein Bild von der Aargauer Bibliothekslandschaft zu machen. Wir würden uns auch freuen, die kontroverse Diskussion an einer Veranstaltung mit Ihnen weiterzuführen.»

Sylvie Vullioud (Scientific Information School (SIS), Vufflens-la-Ville) schlägt am 15.2.2016 auf swiss-lib eine Podiumsdiskussion zum Thema «Nationallizenzen und Nationalfonds (Open Access) vor:

«Il est temps d’inviter à M. Ball (directeur Bibliothèque ETHZ), et M. Vetterli (Président du FNS) à un débat public. Les hautes écoles et bibliothèques pourraient leur adresser leurs questions et préoccupations sur l’accès à l’information et la publication scientifique. Le dialogue révélerait enfin les états intermédiaires possibles entre la «Totale Bibliothèque Digitale sous Licences» ou le «Total Open Access», tenant compte des coûts de ces modèles, dans le contexte de la restriction budgétaire fédérale à l’éducation et à la recherche. Le débat serait le prélude à une coordination entre pourvoyeur de fonds à la recherche, les universités, et les bibliothèques universitaires.

M. Ball, successeur de M. Neubauer à la direction de la Bibliothèque de l’ETHZ prend position dans divers articles NZZ, Total Open Access, Open Access il y a 10 ans, M. Ball: un pionnier, en faveur d’une bibliothèque scientifique numérique basée sur des licences nationales et universitaires, qu’il appelle la bibliothèque digitale. M. Ball rend hommage à M. Neubauer dans Vernetztes Wissen – Online – Die Bibliothek als Managementaufgabe : Festschrift für Wolfram Neubauer zum 65. Geburtstag, ce qui laisse penser à une proximité intellectuelle des 2 hommes. M. Ball dirige le projet Licences Nationales, M. Neubauer dirige le projet SLSP.

M. Neubauer a été directeur de la bibliothèque de l’ETHZ pendant une vingtaine d’année, et cumulativement et/ou successivement chef de projet de E-lib de 2008 à 2013, chef de projet NEBIS, chef du Consortium des Bibliothèques. Il a été une locomotive du développement de la bibliothèque digitale en Suisse.

La vision de la bibliothèque digitale sous licences a eu un sens avant l’avènement des réflexions et mises en œuvre de l’Open Access. Mais aujourd’hui, l’objectif de réalisation d’une bibliothèque digitale basée sur des licences nationales, surtout avec l’achat de backfiles, est en contradiction avec les objectifs du FNS qui cherche à promouvoir l’Open Access (Gold et Green). L’Open Access est aussi la voie développée par les responsables de fonds à la recherche européens et américains.

La création d’une délégation Stratégie et coordination de la politique des hautes écoles pour l’Open Access, accepté par Swissuniversities à la demande du SEFRI en février 2016, est le début de l’intégration de réflexions de l’Open Access dans les projets-CUS-P2 dédiés à l’accès à l’information scientifique.

L’interview de M. Ball dans la NZZ révèle au grand public sa vision de la bibliothèque digitale pour les bibliothèques universitaires, qu’il a simplement translatée (sans réelle argumentation) aux bibliothèques publiques. M. Ball répond aux critiques dont il a été l’objet en évoquant une scientifique de l’ETHZ qui conforterait sa vision. Voilà donc bien le danger des écrits de M. Ball : faire croire que toute la communauté scientifique et toutes les bibliothèques universitaires soutiennent un futur de bibliothèque digitale sous licences tous azimuts. Mais rien n’est plus faux que ces simplifications. Les positions sont nombreuses, reflet de la complexité actuelle du paysage de l’information scientifique au niveau international. Par exemple, des scientifiques et des bibliothécaires universitaires lisent (encore!) des livres imprimés, et lisent des articles sous licences de leur bibliothèque digitale institutionnelle sur leur ordi, et pratiquent le Green ou le Platinum Open Access et qui font du Data ou Text Mining à partir des publication en Green Open Access de l’archive PubmedCentral.

Une approximation provisoire personnelle des montants en jeux des ejournaux, ebases de données, et ebooks sous licence et payés par la Confédération se chiffre à quelques 230 mio frs au moins pour la période 2010 à 2015 (voir fichier attaché; l’approximation est foireuse, mais bon, j’ai fait avec ce que j’ai trouvé publiquement. Toute amélioration bienvenue). Ce qui est beaucoup (trop?) en regard des besoins financiers à dégager pour la recherche et l’éducation elles-mêmes!

Une coordination véritable de stratégie de réduction des coûts de l’information scientifique entre l’ETHZ, le FNS, la CRUS, la CUS, Swissuniversities, et la CUB (Consortium Universitaires des Bibliothèques) n’a jamais eu lieu. Le poids de la Bibliothèque de l’ETHZ a été énorme dans les décisions concernant l’accès à l’information scientifique durant ces 15 dernières années, en raison des importants budgets attribués à cette entité.

Avec l’avènement de Swissuniversities et des mouvements Open Access débutés par le FNS, les statuts juridiques, les gouvernances, et les relations financières de Swiss Library Service Platform (SLSP), Licences Nationales, NEBIS, Consortium des Bibliothèques, et la bibliothèque de l’ETHZ doivent être clarifiés. SLSP, Licences Nationales, NEBIS, Consortium des Bibliothèques et la bibliothèque de l’ETHZ sont dirigés ou fortement influés par M. Ball et M. Neubauer, farouches opposants revendiqués à l’Open Access, et partisans de la construction de la bibliothèque digitale sous licences. Le président du FNS, M. Vetterli soutient l’Open Access et en demande déjà sa pratique par les chercheurs.

La recherche suisse mérite une articulation crédible entre son principal pourvoyeur de fonds, le FNS, et les bibliothèques universitaires. La création de cette coordination pourrait débuter par une journée de débat, questions et réponses, afin de révéler toutes les subtiles positions entre la « Totale Bibliothèque Digitale sous Licences » ou le « Total Open Access » avec la participation des bibliothèques universitaires, des représentants des hautes-écoles, et des chercheurs, en présence de M. Ball et M. Vetterli, et du Secrétariat d’Etat à la recherche et à l’innovation, le SEFRI.»

Christian Gutknecht schreibt am 16.2.2016 auf wisspub.net unter dem Titel «Rafael Ball: Inkompetenz an kompetenter Stelle«:

«Ich habe selten so ein oberflächlichen und wirren Text über Open Access gelesen (Balls Artikel vom 8.2.2016 «Total Open Access: the new gospel of scientific communication» ist hier zu finden). Gewiss kann man unterschiedlicher Meinung sein wie Open Access erreicht werden soll (Präferenz auf Gold, Green, Hybrid, Höhe von APCs etc.) und diese Diskurse werden durch Experten mit guten Argumenten geführt. Doch Ball signalisiert in diesem Text nur, dass ihm gar kein Open Access am liebsten wäre. Er erwähnt an keiner Stelle, nicht einmal andeutungsweise, was denn aus seiner Sicht die Alternative wäre (ausser nichts zu tun). Schlimmer noch, er sympathisiert ganz offen mit völlig absurden Argumenten mit den Subskriptionsverlagen. Die bewusste Ignoranz, mit der Ball schon nur die ökonomischen Probleme des heutigen Systems negiert, wie schon zehn Jahre zu vor, ist völlig verantwortungslos und unangemessen für den Posten eines ETH-Bibliotheksdirektors.»

Lesewolke weist auf die Debatte hin unter dem Titel «Gelesen in Biblioblogs (6.KW’16)«:

«Für Aufregung sorgte das Interview mit Rafael Ball in der Neuen Zürcher Zeitung. Unter anderem meinte der Leiter der ETH-Bibliothek Zürich: “Um Inhalte zu finden und zu lesen, brauchen Sie heute eben keine Bibliotheken mehr, weil Sie keine gedruckten Bücher mehr brauchen.“. Zudem wunderte er sich über die Aufregung, wenn Gemeindebibliotheken schließen müssten. Die zahlreichen Kommentare zeigten wenig Verständnis für solche Ansichten. Rudolf Mumenthaler machte in seinen Beiträgen “Sind Bibliotheken überflüssig? Eine Replik” und “Bibliotheksbranche im Umbruch und Aufruhr” deutlich, dass diese Sichtweise doch sehr oberflächlich ist und die zahlreichen Aktivitäten der Bibliotheken hinsichtlich neuer technischer Entwicklungen völlig ignoriert. Provokante Äußerungen könnten für interne Diskussionen durchaus ein Anreiz sein, sich über neue Wege Gedanken zu machen, wären aber in einer großen Tageszeitung schädlich. Man müsse befürchten, dass sich die Politik bei Sparmaßnahmen auf solche Experteneinschätzungen beruft. Ben Kaden setzte sich im Libreas Blog ebenfalls mit der aktuellen Rhetorik der Bibliotheksleiters der ETH Zürich auseinander. VÖBBlog meinte zu Balls Äußerungen: “wir leben in einer Zeit, wo es wichtig scheint, in den Medien präsent zu sein und wer zündelt, bekommt seinen Auftritt” und verlinkte auf das Interview Balls mit dem SRF

Marc Tribelhorn schreibt in der NZZ vom 16.2.2016 unter dem Titel «Debatte um Bibliotheken: Verfrühter Abgesang«:

«Die Digitalisierung hat jedoch ihre Tücken. Sie ist so aufwendig und teuer, dass bisher nur kleine Teile der alten Bestände gescannt und zugänglich gemacht werden konnten. Rafael Balls Aussage, «ein Grossteil der Literatur» sei schon heute digitalisiert im Internet zu finden, ist schlicht falsch. Vor allem aber ändern sich die Speicherformate alle paar Jahre. Digitale Datenträger sind flüchtig, Papier ist geduldig. Niemand weiss, ob in 50 oder 100 Jahren unsere heutigen Digitalisate noch lesbar sein werden. Überdies ist die Zugänglichkeit elektronischer Medien wegen Zugriffsrechten und Lizenzen online keineswegs gewährleistet. Das gedruckte Buch verschwinde daher nicht einfach, und schon gar nicht der Beruf des Bibliothekars, ist sich Susanna Bliggenstorfer, Direktorin der Zürcher Zentralbibliothek, sicher: «Wir brauchen Spezialisten, die systematisch Inhalte auswählen, sammeln und zur Verfügung stellen, egal ob digital oder analog.» Bliggenstorfer kann – allen Unkenrufen zum Trotz – weiterhin steigende Zahlen sowohl bei den Nutzern als auch bei den Ausleihen präsentieren und bestätigt damit einen überraschenden Trend.

Laut dem BfS ist die Zahl aller Ausleihen in den Universitätsbibliotheken in den letzten zehn Jahren rasant gestiegen, von 2 792 155 (2004) auf 4 113 001 (2014). In den öffentlichen Stadtbibliotheken sinken die Ausleihzahlen seit 2011 zwar, sind aber 2014 (21 347 749) immer noch höher als 2007 (20 626 835). Der Rückgang wird vor allem auf die eingebrochene Nachfrage nach CD und DVD zurückgeführt. Die insgesamt aber stabilen Zahlen auf hohem Niveau lassen zumindest den Schluss zu, dass es sich bei der Buchausleihe noch nicht um ein Auslaufmodell handelt. Diese liege mit der Sharing-Economy sogar voll im Trend, vermutet etwa Schaffhausens Stadtbibliothekar Oliver Thiele. (…)

Das bestätigt auch Rudolf Mumenthaler, der als Professor für Bibliothekswissenschaften an der HTW Chur lehrt. «Wissenschaftliche Bibliotheken werden von Studierenden und Forschern zum Lernen, Recherchieren und für den Gedankenaustausch genutzt. Angeboten werden vermehrt gut ausgestattete Arbeitsplätze in angenehmer Atmosphäre.» Die öffentlichen Bibliotheken hingegen seien immer häufiger Begegnungs- und Kommunikationsorte samt eigener Cafeteria, an denen man sich ohne Konsumzwang aufhalten könne. Die Bücherbestände würden zunehmend in Aussenstellen gelagert, um die meist zentral gelegenen Gebäude für neue Aktivitäten zu nutzen. Kleine Gemeindebibliotheken, die angesichts prekärer kommunaler Finanzen am stärksten unter Druck stehen, hätten sich vielerorts gar zu eigentlichen Kulturzentren gewandelt, die Lesungen und Diskussionsabende veranstalteten, aber auch einen wichtigen Beitrag zur Leseförderung bei Kindern leisteten.

Entsprechend sind die Aufgaben für Bibliothekare vielschichtiger und anspruchsvoller geworden. Wer sich gegen den Wandel sträube und weiterhin «nur» Bücher zur Verfügung stellen wolle, werde ein böses Erwachen erleben, sagt Mumenthaler überzeugt. Wie die Bibliothek der Zukunft aussehen wird, ob mit Büchern oder ohne, das weiss auch er nicht. Dass sie bald als kulturelle Pfeiler aus dem öffentlichen Raum verschwinden, davon ist aber nicht auszugehen. Totgesagte leben bekanntlich länger.»

Eric Steinhauer empfiehlt im Medium-Artikel «Die Zukunft der Bibliotheken – a Starbucks view» vom 16.2.2016 einen Blick in die Geschichte für eine vorsichtige Annahme über die Zukunft.

Peter Delin skizziert auf Inetbib vom 16.2.2016, was die Folge einer konsequenten Umsetzung von Rafael Balls Vorschlag (Weg mit den Büchern!) wäre:

«Doch nehmen wir einmal an, man würde dem Traum von Rafael Ball folgen (Devise: Weg mit den Büchern!) und die Buchausleihe der öffentlichen Bibliotheken total auf Ebooks umstellen, so ergäbe sich folgendes Bild:
Nach der Deutschen Bibliotheksstatistik hatten, wenn ich mich da nicht vertan habe, die öffentlichen Bibliotheken 2014 229.077.534 Ausleihen. Bei 2 Euro pro Ausleihe wären also jährlich 458.155.068 Euro zu zahlen, und zwar immer wieder meist für die selben Bücher, wohl ohne Gewähr auf einen dauerhaften Zugriff. Der Erwerbungsetat der öffentlichen Bibliotheken betrug inkl. Zeitschriften und Einband laut DBS 2014 104.745.982 Euro. Die Bibliothekstantieme hat den Staat 2010 pro Buchausleihe 3-4 Cent, ingesamt 11,2 Mio Euro gekostet. Unsere Effizienz-Experten wären natürlich trotzdem begeistert. Was man da alles einsparen könnte… Allerdings würde dieses Modell am Widerstand der Bevölkerung scheitern.

Dennoch hätte man nach dem dänischen Modell theoretisch von jeder öffentlichen Bibliothek aus, genauer mit jedem Bibliotheksausweis, den vollen Zugriff auf den gesamten Buchmarkt. Die Buchbranche erzielte 2014 Einnahmen von 9,32 Milliarden Euro, ungefähr die Hälfte ging an den stationären Buchhandel. Nach diesem Modell würden aller Voraussicht nach sowohl die öffentlichen Bibliotheken als auch der stationäre Buchhandel verschwinden. Kaffeetrinken kann man ja auch woanders. Bibliotheken und Buchhandel würden sich in einen Berechtigungsausweis für den Zugriff auf den digitalen Buchmarkt verwandeln. Damit die Verlage ihren Umsatz von 4,74 Milliarden Euro halten können, müssten die Ausleihen sich verzehnfachen, was vielleicht denkbar wäre, schließlich wäre es ja für die LeserInnen umsonst, aber der Buchmarkt wäre weitgehend verstaatlicht. Ich weiß, die Zahlen sind nicht ganz komplementär, aber so ungefähr würde dieses völlig unrealistische Bild aussehen.»

Walther Umstätter antwortet darauf am 20.2.2016:

«Ich kann Ihren Standpunkt, sozusagen aus realpolitischer Sicht gut nachvollziehen, nur aus wissenschaftlicher Sicht muss man Unsinn auch als solchen erkennen, benennen und berichtigen. Bei K. Popper heißt dieser Vorgang Falsifikation, und ist der Kern der Wissenschaft.

Abgesehen davon, dass Dänemark bibliothekarisch betrachtet ein höchst interessantes Beispiel ist, darf man nicht vergessen, dass dort das Verlagswesen über die Bibliotheken subventioniert wird, nicht zuletzt um mit Übersetzungen die Landessprache lebendig zu erhalten. Das amerikanische Bibliothekswesen ist damit beispielsweise nicht zu
vergleichen. Dass wir bereits das Verschwinden des stationären Buchhandels beobachten, ist unübersehbar, auch wenn der Börsenverein mit allen Kräften dagegen kämpft, um den Vorgang zu verzögern. Dagegen suchen die Bibliothekare aller Länder nach neuen Existenzmöglichkeiten, aber dass muss ich Ihnen ja nicht sagen. Sicher ist Amazon schon heute die schärfste, aber nicht die einzige Konkurrenz der Buchhandlungen und Bibliotheken.

Ansonsten zeigt ihr Rechenbeispiel, wie absurd die Situation zur Zeit ist. Obwohl jeder weiß, dass das Drucken von Büchern gegenüber der Zurverfügungstellung einer Printdatei etliche Zusatzkosten (Papier, Druckkosten, Bindung, Lagerhaltung, Transport) verursacht, werden die Kosten für die E-Book-Nutzung künstlich hoch gehalten, um die moderne, private Vervielfältigung soweit es geht zu vermeiden.

Vor etlichen Jahren haben die Verlage argumentiert, sie würden mit einer CD-ROM voller Bücher im übertragenen Sinnen keine Autos, sondern die Autofabrik verkaufen. Das klang für etliche Menschen plausibel. Man hatte nur vergessen, dass die „Autofabrik» bereits in jedem PC enthalten war, und das ist das eigentliche Problem der Besitzer von Verwertungsrechten bzw. Copyrights.

Selbstverständlich gilt es heute als geistiger Diebstahl, was Alexandra Elbakyan in Sci-Hub gemacht hat, ob das aber die richtige Bezeichnung dafür ist, wird immer fraglicher, wenn Autoren Erkenntnisse publizieren wollen und ein Verlag wie Elsevier permanent steigende finanzielle Barrieren aufbaut. Deshalb beobachten wir ja auch in der Open Access
Bewegung den Trend, dass bei einem wissenschaftlichen Projekt nicht nur die Forschung selbst, sondern auch deren Publikation bezahlt wird, die dann allen Menschen zur Verfügung steht. Parallel dazu nimmt die Zahl der sog. Indies zu.

Geistiges Eigentum kann man eigentlich nur erwerben, wenn man es durch Publikation allgemein zu Verfügung stellt.»

Philippe Wampfler verlinkt die Chronologie der Debatte am 17.2.2016 auf «Kompetenzen fürs 21. Jahrhundert«.

ZHAW-Bibliotheksleiter Wolfgang Giella nimmt im Landbote-Frontseiten-Artikel vom 17.2.2016 unter dem Titel «Die neue ZHAW-Bibliothek ist ein Magnet – trotz eines «innovativen» Mega-Flops» Stellung zur Debatte:

«Fazit: «Es braucht diese Bibliothek», sagt Giella und spielt damit auch auf die These an, die sein Kollege Rafael Ball von der ETH-Bibliothek kürzlich in der «NZZ am Sonntag» aufgestellt hat. Die klassische Bibliothek im digitalen Zeitalter? Sie sei schlichtwegs überflüssig geworden.

Giella hält die These für falsch. Zu etabliert sei das gedruckte Buch als Medium heute noch. Und nur etwa 15 Prozent der wissenschaftlichen Publikationen seien im Internet frei verfügbar.»

DonBib schreibt auf Ultra Bibliotheka «Eine Replik zu Rafael Ball – Bibliotheken im 21. Jahrhundert : vom Leser zum Kunden«:

«Im Folgenden bekommt der Einschub der Belange Öffentlicher Bibliotheken eine unangenehme Nebenwirkung: bezieht sich Balls Text nun im Weiteren auf Öffentliche Bibliotheken, dann kollidiert er mit der Realität. Für die Belange Wissenschaftlicher Bibliotheken mag die Annahme: „Der Kunde einer Bibliothek erwartet heute zunehmend keine Einzelmedien mehr. Er erwartet aggregierte Informationsangebote, die ihm bei der Problemlösung helfen.“, unabhängig vom KundInnenbegriff eher zutreffen. Gerade im schulbibliothekarischen Bereich sind aggregierte Informationsangebote nach meiner Erfahrung aber eher von Nachteil. SchülerInnen müssen „die in der analogen Welt übliche intellektuelle und individuelle Herstellung von Zusammenhängen und Verbindungen zwischen einzelnen Medien“ erst erlernen. Diese nach Ball nicht mehr zeitgemäße Aufgabe erfährt also je nach Bibliothekstyp eine unterschiedliche Ausprägung. Im universitären Bereich mag seine Annahme zutreffen, wobei ich selbst im Grundlagenstudium Abstriche machen wollen würde. (…)

Ich bin immer wieder schockiert über die Qualität solcher Artikel, die sich lesen wie NPM-Geschwafel der 90er Jahre. Manchmal drängt sich der Eindruck auf, Bibliotheken wären doch um Jahre zurück und müssten die Fehler Anderer erst nachholen, um daraus lernen zu können. Von LeiterInnen großer bibliothekarischer Institutionen, allemal von jenen großer Unibibliotheken, erwarte ich wissenschaftlich mehr, wenn nicht deutlich mehr oder gar unendlich viel mehr!»

Rudolf Mumenthaler schreibt im NZZ-Gastkommentar vom 18.2.2016 unter dem Titel «Bibliotheken im Um- und Aufbruch: Mehr als nur Bücherspeicher» u.a.:

«Es ist nicht so, dass Bibliotheken sich heute noch ganz altbacken als Bücherspeicher definierten. Wir müssen nicht bis nach Århus schweifen, um unzählige Gegenbeweise zu finden. In der Schweiz können wir keinen solch spektakulären Bau vorweisen, doch werden auch hier neue, zukunftsträchtige Konzepte ausprobiert und umgesetzt. Wo beginnen? Im Moment wird gerade die Kooperative Speicherbibliothek in Büron bezogen. Hierhin lagern mehrere Kantonsbibliotheken Teile ihrer Buch- und Zeitschriftenbestände aus, um in den Zentren Platz für neue Angebote zu schaffen. Die Universitätsbibliothek Bern wird nach dem Umbau in der Bibliothek Münstergasse keine Bestände mehr anbieten, sondern moderne, nutzerfreundliche Dienstleistungen. Ähnliches ist in Luzern geplant, wenn dann der jahrzehntelang ersehnte Umbau der Zentral- und Hochschulbibliothek (ZHB) endlich erfolgt ist. (…)

Auf einer ganz anderen Ebene setzt das Projekt Swiss Library Service Platform auf, in dem momentan abgeklärt wird, ob und wie in Zukunft die wissenschaftlichen Bibliotheken der Schweiz gemeinsame Services in einer komplett neuen Struktur anbieten können. Ein Projekt – übrigens unter der Federführung der ETH-Bibliothek –, das weitreichende Folgen für die Arbeitsweise der Bibliotheken haben dürfte, falls es realisiert wird. Traditionelle Aufgaben rund um die Medienbearbeitung würden zentralisiert und würden stark in den Hintergrund treten. Dafür können in den einzelnen Bibliotheken verstärkt zielgruppengerechte Dienstleistungen vor Ort erbracht werden.

Besonders missverstanden fühlen sich die öffentlichen Bibliotheken, die sich schon seit einiger Zeit in Richtung Begegnungs- und Kommunikationszentren entwickeln. Die Stadtbibliothek Winterthur bietet unter anderem verschiedene auf die Bedürfnisse von bestimmten Zielgruppen (Kids, Teens, U 21) eingerichtete Bereiche und eine Integrationsbibliothek mit einem interkulturellen Gesprächstreff an. Viele Bibliotheken – vor allem in Deutschland, aber auch in Thun – haben auf den Flüchtlingsstrom reagiert und bieten kostenlose Bibliotheksausweise, Beratung, Medien in vielen Sprachen und kostenlosen Internetzugang an. (…)

Öffentliche Bibliotheken unterstützen die Bevölkerung beim Umgang mit neuen Medien und neuen Technologien. Mittlerweile verfügen sehr viele über ein Angebot an E-Books, dessen Nutzung stark zunimmt. In sogenannten «Makerspaces» können Bibliotheksbesucher neue Technologien spielerisch kennenlernen.»

Sabine Wolf weist am 18.2.2016 via Inetbib auf die Verlängerung des Calls for Papers #Visdom2016 hin:

«Die aktuell geführten Diskussionen in den sozialen Medien zur Bibliothek ohne Bücher oder ohne Sacherschließung haben gezeigt: Die Zukunft der Bibliotheken ist zum einen ein Thema welches stark zu emotionalisieren vermag und zum anderen aber auch Thema welches nicht nur die eine Antwort auf die Zukunftsfrage bereit zu halten scheint.

Der Call for Papers wurde deshalb verlängert um möglichst breit die Bibliothek der Zukunft auf der #VisDom2016 an der FH Potsdam vom Freitag den 27. Mai bis Samstag den 28. Mai zu diskutieren.»

Eva-Christina Edinger gliedert auf dem Blog Spaces of Knowledge die Argumente unter «Wozu Bibliotheken? – Über den freien Zugang zu Informationen und Bildungsräumen (18.2.2016)» in die drei Kapitel 1. Der Wert des gedruckten Buches, 2. der freie Zugang zu Informationen in Bibliotheken, 3. die Bibliothek als Bildungsraum (via Eric Steinhauer auf Twitter).

Michael Guggenheimer von Buchort.ch schreibt im Blogpost über die Mediathek Brig (18.2.2016):

«Mag sein, dass Bibliotheksdirektor Ball keine Bücher mehr braucht. Kann sein, dass technische und naturwissenschaftliche Debatten heute mehrheitlich im Netz digital und nicht mehr auf Papier zwischen zwei Buchdeckeln abgehandelt werden. Wie sehr Bibliotheken heute dennoch Umschlagorte des Wissens, Begegnungs- und Lernorte sind, wie wichtig sie sind, davon zeugt ein Besuch in der Mediathek Brig, so heisst in Brig die vom Kanton Wallis und von der Stadt getragene Bibliothek. Ein moderner Bau am Rande der Altstadt, zwei langgezogene Stockwerke, deren Fenster auf der einen Seite von der Decke bis zum Boden reichen, lichtvolle Räume mit Arbeitsplätzen, mit bequemen Clubsesseln und mit Sitzgruppen, in denen gelesen, gearbeitet und debattiert wird.»

Im Biblioblog: Das Blog der Bibliotheken der freien Universität Berlin wird unter dem Titel «Macht das Internet Bibliotheken überflüssig?» die Debatte erwähnt:

«Vor einigen Tagen hat Rafael Ball, Bibliotheksleiter der ETH Zürich ein Interview mit der Überschrift “Weg mit den Büchern” in der Neuen Zürcher Zeitung gegeben. Er stellt die These auf, dass das Internet Bibliotheken überflüssig machen könnte.

Seitdem läuft eine heftige Debatte in diversen Online-Medien …

Eine exzellente Übersicht von Meinungen und Kommentaren finden Interessierte auf digithek blog “Rafael Ball tritt Bibliotheks-Debatte los”.

Das Buch von Ball “Was von Bibliotheken wirklich bleibt : das Ende eines Monopols ; ein Lesebuch” habe ich mir übrigens gerade in der UB ausgeliehen. Provokante Thesen erhöhen offensichtlich das Interesse an einem Thema ?»

Die Zürichsee-Zeitung, der Landbote vom 19.2.2016 und desktop.12app.ch schreiben unter dem Titel «ETH-Bibliotheksdirektor versetzt Fachwelt in Aufruhr» u.a.:

«Nach dem ersten Entrüstungssturm krebste Ball etwas zurück. Er habe im Interview auch gesagt, dass er nicht für die Abschaffung der Bibliotheken plädiere, sondern dafür, dass die Bibliotheken ihr Geschäftsmodell radikal ändern müssten. Die Beschwichtigung ging unter, zumal Ball die heissen Aussagen nie korrigiert hat – jedenfalls nicht öffentlich. An einem geschlossenen Symposium zu Ehren seines Vorgängers, das am Mittwoch stattfand, soll sich Ball bei den Vertretern der Gemeindebibliotheken entschuldigt haben. Weshalb, liegt auf der Hand: In finanziell klammen Zeiten gehören Gemeindebibliotheken zu den beliebtesten Spar­opfern. Stuft sogar der ETH-Chefbibliothekar Gemeindebibliotheken als überflüssig ein, ist das ein Steilpass für Sparpolitiker. (…)

Was bringt Ball dazu, sich derart herablassend über Bibliotheken und Bücher zu äussern? «Er liebt die Provokation», sagt Susanna Bliggenstorfer, Direktorin der Zentralbibliothek Zürich (ZB). Sie kennt Ball beruflich. «Er hat auch in Sitzungen schon provoziert», sagt sie. «Rafael Ball ist als Deutscher wohl noch nicht ganz mit der auf Konsens ausgerichteten Schweizer Gesprächskultur vertraut», sagt die Romanistikprofessorin. Ironischerweise kamen die schärfsten Gegen­reaktionen ausgerechnet aus Deutschland. (…)

Meint Ball seine Äusserungen so, wie er sie sagt, oder will er nur provozieren? Da er selber schweigt, geht die Frage an die ZB-Direktorin: «Das ist die Frage, die wir uns alle in der Fachwelt stellen», antwortet sie. Falls er nur habe provozieren wollen, dann habe er die Reaktionen wohl unterschätzt. «Er hat viele vor den Kopf gestossen», so Bliggenstorfer. Dabei sei die Debatte an sich nicht neu. «In Bibliothekskreisen sind wir längst dabei, die Entwicklungen von analog zu digital zu bewältigen.» (…)

Ist ein Bibliotheksdirektor noch tragbar, der Bibliotheken und ­Bücher gering schätzt? Die ETH-Leitung äussert sich dazu nicht. Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Personal und Ressourcen, schickt dieses schriftliche Statement: «Die ETH-Schulleitung hält fest, dass es keine Pläne gibt, sich aktiv vom gedruckten Medium zu verabschieden. Im Rahmen ihrer Leistungsvereinbarung hat die ETH den (…) Auftrag, klassische Medien und Kulturgüter zu schützen, zu pflegen und für die Nachwelt zu erhalten.» Biblio­theken würden sich unter dem Megatrend der Digitalisierung verändern. Dies spürten Bibliotheken wie jene der ETH am direktesten.»

Oswald Sigg zieht im Aargauer Zeitung-Gastkommentar vom 19.2.2016 einen Vergleich zum Bargeld und seiner eigenen Büchersammlung («Geld und Geist sind gefährdet«) und kommt zum Schluss:

«Der ETH-Bibliotheksdirektor – ein dreifach studierter Mann – glaubt, die Bibliotheken müssten schlicht und endlich ihr Geschäftsmodell ändern. Doch die Vermittlung des wirklichen Wissens war noch nie einfach: In den ersten bekannten Bibliotheken war das Lesen mit körperlichen und bürokratischen Strapazen verbunden. Der Assyrerkönig Assurbanipal hielt um 600 v. Chr. dem geneigten Publikum in Ninive eine Sammlung von Keilschrift-Tontafeln zur Verfügung. Und selbst diese Inhalte sollen heute mit zwei, drei Klicks über das Internet abrufbar sein? Es ist vielmehr so: Im Internet findet man alles. Und nichts. (…)

Zuhause hatten wir keine Bibliothek. Der schmale Bestand an Büchern lagerte hinter Glas im hölzernen Schrank, in dem neben dem Gotthelf auch noch das Geschirr und die Gläser und der Notvorrat an Schnaps und Zigaretten versorgt waren sowie in den unteren zwei Schubladen alte Ausgaben der «Schweizer Illustrierten», der Zeitschrift «Du» und des «Nebelspalters» lagen. Ein guter alter Schrank eben. Es gibt ihn heute noch in unserer Wohnung. Der Buchbestand ist seit 1968 stark gewachsen und erstreckt sich nun über weite Teile der Wohnstubenwand. Seitdem alle diese Bücher in ihrer Existenz quasi von Amtes wegen gefährdet scheinen, nehme ich täglich ein anderes Buch hervor, um dessen Entbehrlichkeit zu prüfen. Man weiss ja nie.

Doch im Unterschied zu unseren Büchern und den Banknoten ist die ETH-Bibliothek gleich doppelt gefährdet. Einmal durch ihren eigenen Direktor. Und dann hat sie keine gesetzliche Grundlage. Meine Nachforschungen im Internet haben nur zu einem am 31. Juli 1854 vom Bundesrat erlassenen Reglement über die Eidgenössische Polytechnische Schule geführt. Dort wird über den Vorgänger des aktuellen Direktors festgehalten: «Der Bibliothek der polytechnischen Schule steht ein Bibliothekar vor, der für seine vielfältigen Bemühungen eine Entschädigung erhält.» Mit anderen Worten: Sparpotenzial ist da vorhanden.»

David Marc Hoffmann (Leiter Rudolf Steiner Archiv Dornach) schreibt in der Basellandschaftlichen Zeitung vom 19.2.2016 eine Replik unter dem Titel «Zur Zukunft von Buch und Bibliothek«. Der Artikel ist in leicht modifizierter Form auch auf bzbasel.ch online verfügbar.

Die Welt vom 19.2.2016 kommt in der Rubrik «Literarische Halbwelt» unter dem Titel «Bibliotheken? Gefährliche Orte für Bücher!» angesichts der aktuellen Debatte die Plünderung der Biblioteca dei Girolamini in Neapel durch den damaligen Leiter Marino Massimo de Caro im Jahr 2011 in den Sinn:

«(…) Nur der Kunsthistoriker Tomaso Montanari, der den systematischen Diebstahl seinerzeit bemerkt und angezeigt hatte, merkte an: Man hatte den Fuchs zum Wächter eines Hühnerstalls bestellt. Bis heute sammelt man die Federn wieder ein. Ob es den Hühnern helfen würde, wenn es sie überhaupt nur noch digital gäbe?

Und damit zum Traum eines anderen Bibliotheksdirektors. Für viele las es sich wie ein Albtraum, was Rafael Ball, Bibliothekschef der Eidgenössisch-Technischen Hochschule (ETH), kürzlich im Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» als Vision formulierte: die buchfreie Bibliothek. Bücher in Bibliotheken, so Ball, könnten sich in Zukunft auf wenige «Attrappen» beschränken, «ein Regal am Eingang» für den Aha-Effekt: «Weil die Leute ein Bild der Bibliothek haben. Sie erwarten Regale von Büchern. Wenn sie in einer Bibliothek keine Bücher sehen, dann denken sie, sie seien am falschen Ort.»

Wie man sich das Ball-Szenario für die Buchbestände der ETH-Bibliothek konkret vorstellen muss, blieb zunächst offen. Aber Freunde des gedruckten Buchs orakeln schon, was gefährlicher sei: die kriminelle Energie, mit der ein Direktor seine eigene Bibliothek ausraubt, oder die Programmatik, mit der ein Bibliothekschef die Digitalisierung zu Ende denkt?»

Der Berufsverband Information Bibliothek e.V. verlinkt die digithek blog-Sammlung am 19.2.2016 unter dem Titel «Debatte über die Zukunft Öffentlicher Bibliotheken«:

«Da die vielen Beiträge in der Presseschau nicht Platz haben …

… verweisen wir auf das Weblog «digithek», das die verschiedenen Beiträge zur Debatte zuverlässig sammelt.»

VÖBBLOG vom 20.2.2016 verlinkt die digithek blog-Sammlung unter dem Titel «digithek blog: Rafael Ball tritt Bibliotheks-Debatte los«:

«Eine – aktuell gehaltene – Auflistung aller Beiträge zur Bibliotheksdiskussion im Gefolge der Ball’schen Äußerungen im digithek blog.»

Klaus Graf verlinkt die digithek blog-Sammlung am 21.2.2016 auf Archivalia unter dem Titel «Die Ball-Bibliotheksdebatte«:

«Ausgezeichnete Zusammenfassung»

Ulrich Weidmann (Vizepräsident für Personal und Ressourcen der ETH Zürich) schreibt in der NZZ am Sonntag vom 21.2.2016 unter dem Titel «Die ETH-Bibliothek wird digital – und bleibt doch ein Hort der Bücher» u.a.:

«Zuspitzung belebt jede Debatte. Bisweilen geschieht dies aber, wenn auch in bester Absicht, zulasten wichtiger Elemente. In der Ausgabe vom 7. Februar 2016 dieser Zeitung hat sich der ETH-Bibliotheksdirektor Rafael Ball pointiert zur Zukunft der Bibliotheken geäussert. Etwas zu pointiert, wie er schmerzlich erfahren musste. Das Spektrum der Reaktionen, zumal von Experten, reicht von heftiger, aber sachlicher Kritik bis zu befremdlicher Gegenprovokation.

Dieses Interview wurde als Abbild einer Gesamtstrategie der ETH wahrgenommen, was es nicht sein wollte. Es konnte der Eindruck entstehen, die ganze physische Literatur sowie die Archive und Sammlungen mit ihren einmaligen historischen Dokumenten würden in der digitalen Zukunft von Bibliotheken, speziell in jener der ETH-Bibliothek, keine Rolle mehr spielen. Dem ist keineswegs so. Die ETH Zürich steht uneingeschränkt zu ihrer Bibliothek, und es ist nicht unsere Absicht, uns vom gedruckten Bestand zu verabschieden. (…)

Innerhalb dieser Palette bilden auch gedruckte Bücher und Zeitschriften mit ihrem kulturhistorischen Wert ein unentbehrliches Fundament. Die ETH hat ausserdem vom Bund den Auftrag, neben der Informationsversorgung für die Wissenschaften Kulturgüter unterschiedlicher Art zu schützen, zu pflegen und für die Nachwelt zu erhalten. Diese zentrale Aufgabe erfüllen wir engagiert, professionell und überzeugt. Dass die zunehmende Verfügbarkeit von Wissen über das Internet dem Gedrucktem seit Jahren immer stärker den Rang abläuft, steht allerdings ausser Frage. Wissenschaftlich ausgerichtete Bibliotheken wie jene der ETH Zürich spüren diesen dramatischen Wandel am direktesten: So hat sich in den letzten fünf Jahren die Zahl der Zugriffe auf das elektronische Wissensportal der ETH-Bibliothek verdoppelt. Die Zugriffe auf digitalisierte Schweizer Zeitschriften haben sich innert zwei Jahren gar verzwölffacht. Im Jahr 2015 stehen 266’000 physischen Ausleihen rund 6,2 Millionen Online-Zugriffe gegenüber. Und zahlreiche höchst renommierte wissenschaftliche Zeitschriften sind gar nicht mehr als gedruckte Version erhältlich.

Es bleibt damit der Spagat zwischen den Bedürfnissen der Naturwissenschafter, Ingenieurinnen und Ingenieure, die ihr Wissen weitgehend digital sammeln und verarbeiten, und jenen von Kulturwissenschaftern, für die das Buch noch lange ein zentrales Medium bleiben wird. Dies ist aber kein Widerspruch: Gerade die digitale Erschliessung von analogen Inhalten ist ein Beispiel dafür, wie neue Technologie die historischen Dokumente sehr breit zugänglich machen und gleichzeitig auch besser vor Beeinträchtigung bewahren kann.»

Ulrich Weidmans Statement aus der NZZ am Sonntag vom 21.2.2016 wird auch auf der Website der ETH veröffentlicht (hier dasselbe in Englisch).

Claudia Bucheli schreibt auf mediobaar.ch am 17.2.2016 unter dem Titel «Überflüssige Mediotheken?» u.a.:

«Die Beliebtheit und Attraktivität unserer Mediothek wird nicht schwinden. Aber – und auch da gebe ich Rafael Ball Recht – sie wird laufend neue Aufgaben übernehmen und immer mehr ein Ort der Beratung, der Produktion und des Informations- und Wissensaustausches sein. Ein Ort, der kollaboratives Arbeiten ermöglicht und gleichzeitig Raum für kreative Ideen bietet – mit einem top aktuellen, äusserst attraktiven und auf die Kundschaft zugeschnittenen Medienbestand, der inspiriert und animiert.

Gerade weil die Anforderungen der medialisierten Welt an ihre Nutzerinnen und Nutzer immer breitere Kompetenzen verlangen, muss es niederschwellige Orte geben, an denen dieses Wissen vermittelt wird. Die Mediothek bietet sich dabei geradezu an. Dabei ist das Neben- und Miteinander von gedruckten Büchern, wie haptischen Trouvaillen mit textilen Covers und originellen, selbst produzierten E-books gewollt und angestrebt. Unser Ziel bleibt fest im Fokus: Schülerinnen und Schüler auf das Leben nach der Schule vorzubereiten und sie zu selbstbestimmten, kompetenten, verantwortungsbewussten und vorausschauenden Mediennutzern zu machen. Egal, um welche Medien es sich dabei handelt.»

Der Berufsverband Information Bibliothek auf Facebook weist am 19.2.2016 auf die digithek blog-Sammlung hin:

«Ein Überblick über die verschiedenen Beiträge zur Debatte»

«Susanne Göttker Das ist ja mal ne schöne Idee, all die Entgegnungen und Kommentare zusammen auf einer Seite aufzuführen. Danke! 🙂

Berufsverband Information Bibliothek Der Dank geht an die digithek – die auch sonst sehr lesenswert ist!»

Oliver Thiele meldet sich am 19.2.2016 im Blog Bischonline unter dem Titel «Bibliothek und Internet: Ein gutes Paar» zur Ball-Debatte zu Wort.

Stephan Holländer fasst die bisherige Bibliotheks-Debatte im Artikel vom 22.2.2016 auf Password unter dem Titel «Rafael Ball zum Zweiten: Die Schweizer Bibliothekswelt im Aufruhr» zusammen und zieht das Fazit:

«Bei aller Aufregung in den Sozialen Medien sollten wichtigere Themen für die Schweizer Bibliotheken nicht aus den Augen verloren werden. Zu Recht rufen die beiden Schweizer Bibliotheksverbände zu einer Stellungnahme über die anstehende Novellierung des Schweizer Urheberrechts auf. Da sollte der Blick weiter als die sogenannte Bibliothekstantieme gehen, die aus der Sicht der Bibliotheken die vielleicht augenfälligste Veränderung am bestehenden Urheberrecht darstellt. Gerade die weiteren Artikel, die sich mit der Digitalisierung unserer Informationswelt befassen, müssen einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Auf der politischen Agenda stehen auch die Regierungsvorlagen zu Bildung und Wissenschaft, die noch in beiden Parlamentskammern beraten werden müssen. Auch hier steht wesentlich mehr auf dem Spiel als die Aussagen in Balls Interview aus der NZZ am Sonntag.»

Lesewolke vom 22.2.2016 verlinkt die digithek blog-Sammlung unter dem Titel «Gelesen in Biblioblogs (7.KW’16)«:

«Die Äußerungen von Rafael Ball, die schon in der 6. KW’16 für viel Aufregung gesorgt hatten, zogen auch in der letzten Woche noch einige Statements nach sich. Digithek blog verlinkte die zahlreichen Artikel und Meinungen in einem Blogbeitrag. Beispielsweise ging Christian Gutknecht in seinem Blogbeitrag bei Wisspub.net insbesondere auf Balls Beitrag “Total Open Access: the new gospel of scientific communication” ein.»

Auf Inetbib wird am 24.2.2016 unter dem Titel «Themen-Stammtisch des Berliner Arbeitskreis Information: Rafael Ball oder wie macht man gute Öffentlichkeitsarbeit, 09.03.2016» auf eine Öffentlichkeitsarbeits-Veranstaltung zur Ball-Debatte eingeladen:

«Rafael Ball hat am 07. Februar 2016 ein Interview in der NZZ gegeben, in dem er die These aufstellt, dass das Internet Bibliotheken überflüssig macht, die Bibliotheken ihre Bücherbestände ausräumen und sich neu erfinden sollen. Das führte zu einer Art «shitstorm», der sich nicht nur über die sozialen Medien, sondern auch über Mailinglisten, Newsletter und die Presse verbreitete.

Vor diesem Hintergrund wollen wir mit Ihnen diskutieren, ob das eine gute Öffentlichkeitsarbeit für Bibliotheken ist, von der anscheinend befürchtet wird, dass sie mehr schadet als nutzt. Nachdenken wollen wir auch darüber, ob die Diskussion von einer breiten Öffentlichkeit eigentlich wahrgenommen wird.

Dazu treffen wir uns am Mittwoch, den 09. März 2016 ab 19:00 Uhr im Kreuzberger Himmel, Yorkstr. 89, 10965 Berlin.»

Auf der Website der ETH-Bibliothek wird am 24.2.2016 auf die Stellungnahme von Ulrich Weidmann hingewiesen:

«Professor Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Personal und Ressourcen, bekräftigt in einer Stellungnahme die Wichtigkeit und Funktion der ETH-Bibliothek.»

Christoph Steiner weist am 25.2.2016 via swiss-lib auf die digithek blog-Sammlung zur Ball-Debatte hin:

«Im digithek blog gibt es seit einigen Tagen eine detaillierte Zusammenfassung der Rafael Ball-Debatte, die insbesondere die breite Diskussion ausserhalb von swiss-lib sichtbar macht (Aktualisierung laufend): http://blog.digithek.ch/rafael-ball-tritt-bibliotheks-debatte-los/

Danke an alle, die sich bis jetzt zum Thema zu Wort gemeldet haben, auch an alle, die durch ihre Verlinkung/Pingback/Empfehlung dazu beigetragen haben, dass der Blogpost bei den gängigen Suchmaschinen jetzt bei der Eingabe «Rafael Ball Debatte» an erster Stelle erscheint.»

BiblioFreak.ch weist im Februar-Newsletter 2016 auf die Wichtigkeit hin, sich zu Wort zu melden:

«Bibliotheken müssen sich zu Wort melden! Sie müssen auf sich und ihre wichtigen gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen aufmerksam machen, und zwar witzig und originell in der Form, aber pointiert und fundiert im Inhalt. Die Imagekampagne BiblioFreak steht Bibliotheken dabei mit Rat und Tat zur Seite. Wer bisher an der Notwendigkeit einer solchen Kampagne gezweifelt hat, wurde diesen Februar eines Besseren belehrt. (…)

Von der kleinen Gemeindebibliothek, über Uni-Bibliotheken bis zur Nationalbibliothek, BiblioFreaks aus der ganzen Schweiz vom Mitglied der Bibliothekskommission bis zum ETH-Professor gingen verbal auf die Barrikaden und machten in Zeitungsartikeln und Leserbriefen ihren Unmut über die unbedarften Äusserungen kund und wiesen auf die unverzichtbaren Leistungen der Bibliotheken hin. (…)

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen es besser: Bibliotheken sind kein Nice-to-have. Bibliotheken sind Orte gelebter Sharing Economy mit einem generationenübergreifenden Angebot, sie eröffnen niederschwelligen Zugang zu Bildung und Information, sie sind Orte der Kulturvermittlung und der Leseförderung und leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur sozialen und kulturellen Integration. Das alles macht Bibliotheken zu unentbehrlichen Plattformen eines funktionierenden aktiven Gemeindelebens – gerade im Zeitalter von Internet. (…)

Melden Sie sich zu Wort. Schreiben Sie Leserbriefe. Organisieren Sie ein Podiumsgespräch. BiblioFreak hilft Ihnen dabei und unterstützt Sie mit verschiedenen PR-Massnahmen und Kampagnen-Instrumenten.»

Der Artikel «Die Renaissance der Stadtbibliothek» in der WirtschaftsWoche beschreibt neue Angebote von öffentlichen Bibliotheken in Deutschland und zitiert Ball:

«Gerade auf dem Land müssen tatsächlich immer mehr Büchereien schließen, weil sinkende Nachfrage und leere Stadtkassen die gleiche Sprache sprechen. „Wer Inhalte sucht, der braucht keine Bibliothek mehr“, sagte selbst Rafael Ball, Leiter der Bibliothek der ETH Zürich, kürzlich der „NZZ“. In einigen Großstädten aber hat man offenbar einen Weg gefunden, sich dieser Logik zu entziehen.»

Lorenzo Tomasin schreibt im Corriere del Ticino vom 29.2.2016 zur Debatte unter dem Titel «È necessario consultare i libri? C’è chi vorrebbe trasformare le biblioteche in centri multimediali«.

Rafael Ball schreibt im Editorial des aktuellen b.i.t.online 1/2016:

«Dass wir eine sachliche Diskussion über Bibliotheken, ihre Bedeutung und ihre Zukunft brauchen, ist spätestens seit meinem Interview in einer Schweizer Zeitung vor wenigen Wochen und den Reaktionen darauf klargeworden.

Wenn aus wenigen, aus der Hüfte geschossenen und im Ton sicher nicht durchgängig glücklichen, steilen Thesen allerhöchste Medienpräsenz zum Thema Bibliotheken entsteht, dann war es höchste Zeit für eine Diskussion. Und der Diskurs ist konstruktiv im Gange zwischen Menschen, die guten Willens sind. Dass das Interview nicht jeden glücklich gemacht hat, kann ich im Nachhinein verstehen.

Insbesondere die öffentlichen Bibliotheken fühlen sich hier kritisiert. Tatsächlich sind viele von ihnen auf dem Weg des digitalen Wandels schon sehr erfolgreich unterwegs. Vor diesen Kolleginnen und Kollegen habe ich großen Respekt und bei ihnen möchte ich mich auch ausdrücklich entschuldigen.

In einem knappen Interview kann man aber keine ausführlichen Perspektiven entwickeln, man kann anreißen und an der Oberfläche der Themen kratzen, und man kann eine Debatte provozieren, die in anderer Form und in anderen Medien weitergeführt werden muss. Ich diskutiere gern über Inhalte und Ton des Interviews. Was aber darüber hinaus im Netz und in der Presse an persönlichen Verunglimpfungen und Untergriffigkeit kursierte, gab nicht nur mir zu denken.

Wir tragen gerne zur Versachlichung der Debatte bei. Und deshalb haben wir in diesem Heft mit drei spannenden Beiträgen aus der Schweiz schon fast einen kleinen Länderschwerpunkt, obwohl das Gastland des Bibliothekskongresses 2016 in Leipzig die USA sind.»

Der Newsletter Februar 2016 – Wissenschaftspolitik der Schweizerischen Akademie der Geisteswissenschaften weist auf die Ball-Debatte hin und verlinkt die digithek blog-Sammlung:

««Weg mit den Büchern»
Das Interview mit dem Bibliotheksdirektor der ETH in der NZZ am Sonntag vom 7. Februar 2016 hat eine kontroverse Debatte ausgelöst. Rafael Ball provozierte mit verschiedenen Aussagen zur Notwendigkeit von Bibliotheken und der zukünftigen Ausführung ihres Auftrages. Auf die Äusserungen reagierten verschiedene ExponentInnen aus der Bibliothekswelt mittels Leserbriefen und Repblika. Eine Übersicht dazu finden Sie hier http://www.igwbs.ch/bibliotheken-ohne-buecher-eine-debatte/ und hier http://blog.digithek.ch/rafael-ball-tritt-bibliotheks-debatte-los/.»

Klaus Egli schreibt in der Basler Zeitung und der Aargauer Zeitung vom 2.3.2016 unter dem Titel «Nur physische Bücher können verführen»:

«Heute stellt sich die Frage, ob Stadt- und Gemeindebibliotheken angesichts des riesigen elektronischen Angebotes im Internet überhaupt noch nötig sind. Soll man nicht gleich alle Bücher wegwerfen, durch E-Books ersetzen und so teure Raummieten einsparen, wie etwa Rafael Ball, Direktor der ETH-Bibliothek, vertritt? Seiner Meinung nach macht das Internet herkömmliche Bibliotheken überflüssig und die Schliessung einer Gemeindebibliothek sei deshalb auch kein Kulturverlust.

Dabei vergisst er, dass Kinder, Jugendliche und Familien ihre Lese-Oase und ihren Treffpunkt verlieren, wenn eine Quartier- oder Gemeindebibliothek verschwindet. Insbesondere Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien nutzen diese gerne, machen dort unter der diskreten Obhut des Bibliothekspersonals ihre Aufgaben, treffen ihre Freunde und spielen auch gerne dort, vor allem wenn es draussen kalt ist. Sie finden Anregungen, Gleichaltrige, Unterhaltung und Lernstoff in greifbarer und damit sehr verständlicher Form. Es besteht kein Konsumzwang und auch kleinere Kinder können die Bibliothek selbstständig aufsuchen.

Damit erwerben sie eine Fähigkeit, von der sie ein Leben lang profitieren können. Später werden sie eher Bibliotheken aufsuchen als Menschen, denen diese Erfahrung in ihrer Kindheit verwehrt war. Barack Obama hat dies 2005, damals noch als Senator von Illinois, sehr schön ausgedrückt: «In dem Moment, da wir ein Kind überzeugen, die Bibliothek zu betreten, haben wir sein Leben für immer verändert, zum Besseren. Von nun an verfügt es über eine immense Ressource.»

Es ist eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Bibliotheken, die Bevölkerung zum Lesen zu verführen. Lesen und Schreiben sind grundlegende, unabdingbare Fähigkeiten unserer Kultur. Sie öffnen die Tore zu Wissen, Denken und sichern den Zugang zu Bildung und beruflicher Integration. Wem es nicht gelingt, einen Zugang zur Schriftkultur zu entwickeln, kann nur sehr beschränkt am Gesellschaftsleben teilnehmen. Lesen und Schreiben muss auch ausserhalb des Schulalltags ein Leben lang geübt werden. Die Bibliotheken sind dafür das am besten geeignete Trainingscenter.

Dennoch: Braucht es dazu immer noch Bücher? Lässt sich nicht alles viel einfacher mit elektronischen Medien erledigen? Offensichtlich nicht: Nach wie vor werden Bücher mit Abstand am häufigsten ausgeliehen, 700’000 waren es 2015 in der Stadtbibliothek. Diese hohe Quote ist seit Jahren konstant. Rückläufige Ausleihzahlen sehen wir nur bei CDs und DVDs. E-Books werden zwar immer beliebter, machen aber mit 36’000 Ausleihen nur gerade 3Prozent aus, und auch im Buchhandel haben sie lediglich einen Umsatzanteil von 7 bis 8 Prozent. In der Ferienzeit allerdings schnellen die E-Books-Ausleihen in die Höhe – nicht zuletzt dank der Gewichtslimiten der Billigflieger. Entsprechend sacken die Zahlen danach gleich wieder ab.

Wenn Bibliotheken zum Lesen verführen wollen, klappt dies nur mit Büchern. Wer ein gutes Buch sucht, will «ummeluege» und stöbern können. Bücher sind grafische Wunderwerke. Die Farben, die Gestaltung, die Schrift – alles zusammen sendet die Botschaft aus: «Nimm mich, lies mich.» Man blättert im Buch, riecht das Papier, liest die erste oder die letzte Seite. (Eine Unsitte von mir, die mein persönliches Umfeld nicht immer versteht.) Die Präsentation ist dabei äusserst wichtig. Ein Cover ist weit attraktiver als ein schmaler Buchrücken.

Jedes neue Medium weckt die Fantasie, das vorherige würde aussterben. Herr Ball steht diesbezüglich in einer langen Tradition mit all jenen, die seit Jahren das papierlose Büro kommen sehen. Das Gegenteil ist der Fall: Jedes neue Medium ist ein zusätzliches Angebot. Konnten Bibliotheken früher einfach Bücher aufstellen, kaufen sie heute von einem Roman das Buch, das Hörbuch, das E-Book, allenfalls auch die DVD und die Soundtrack-CD. Die Digitalisierung führt also nicht dazu, dass wir Analoges einsparen, sondern sie schafft zusätzliche Kosten.»

Willi Bredemeier befasst sich am 2.3.2016 unter dem Titel «Was Rafael Ball wirklich sagen wollte» mit Balls Buch «Was von Bibliotheken wirklich bleibt»:

«Es fällt mir schwer zu glauben, dass ein solches Buch einen Verlag gefunden hätte, wenn der Verfasser nicht Direktor einer namhaften Bibliothek gewesen wäre oder keine vergleichbare Position innegehabt hätte. (…)

Meine Hauptkritik an Rafael Ball lautet jedoch, dass er uns nicht weiterbringt. Weder stellt er konkrete Lösungen für die angesprochenen Probleme vor noch beschreibt er Beispiele, wie einzelne Bibliotheken aktuelle Herausforderungen überzeugend bewältigen. Vielmehr beschränkt er sich häufig auf Fragen, listet also auf, was der Autor ansatzweise beantworten sollte. Oder er beschränkt sich auf phrasennahe inhaltsarme gut klingende Aufforderungen, wie wir sie aus der Managementliteratur kennen. (…)

In der Wissenschaftstheorie scheint mir unumstritten, dass es nicht ausreichend ist, Hypothesen zu falsifizieren. Vielmehr sollte man, um eine These abschaffen zu können, eine überlegene Alternative vorstellen. Dann bemühe ich mich mal um einen innovativen Vorschlag. Wir müssen nach Wegen suchen, Thesen auch dann zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie nicht von Trägern höherer formaler Positionen stammen. Ein guter Schritt wäre getan, wenn wir unsere persönlichen Eitelkeiten aufgäben und den Namen in der Autorenzeile durch drei Sterne ersetzten.»

Im St. Galler Tagblatt vom 3.3.2016 gibt es unter dem Titel «Medienwolken statt Bibliotheken?» einen Kommentar von Gottlieb F. Höpli zur Debatte (danke an Eliane Wenger für den Hinweis):

««Weg mit den Büchern!» – der provokative Titel in der NZZ am Sonntag stand ausgerechnet über dem Interview mit einem … Bibliothekar. Nicht irgend einem. Sondern dem Chef einer der führenden Bibliotheken Europas, Rafael Ball, Leiter der ETH-Bibliothek. Wollte der gelernte Biologe und Philosoph nur provozieren, so ist ihm dies gelungen. Der Aufschrei von Bücher-Liebhabern war gewaltig. So lautstark, dass der Vorgesetzte Balls in der nächsten Ausgabe öffentlich zurückrudern musste.

Hinter der Provokation steckt aber weit mehr, ein viel tiefer liegender Konflikt. Der bis in die Grundzüge des Menschenbildes hinein reicht. Und der sich deshalb auch nicht mit ein paar beschwichtigenden Floskeln aus der Welt schaffen lässt.

Es geht nämlich um die Frage, was der Mensch eigentlich sucht, wenn er eine Bibliothek aufsucht, wenn er ein Buch – oder eben einen Datensatz – öffnet. Sucht er nach einem fehlenden Puzzleteil, das ihm zur Vervollständigung einer Ansicht, einer These, eines Projekts noch gefehlt hat? Weiss er mit anderen Worten, wonach er sucht? Oder weiss er noch gar nicht, was er sucht? Weil er, mit Sokrates, nur weiss, dass er nichts weiss? Weil er die Begegnung mit dem Unbekannten suchte, mit einer anderen Welt, einer anderen Zeit, mit anderen Menschen? Er also sein Wissen nicht ein bisschen an-reichern, sondern es be-reichern will durch den offenen Blick ins Unbekannte? Nicht durch einen Tunnel, sondern ins Unbegrenzte?

Es geht also um weit mehr als um ästhetische Fragen, beispielsweise um das haptische Gefühl, das beim Berühren und Blättern eines Buches entsteht. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft des Buches als einem jener gedruckten Medien, denen die progressiven Geister der Gegenwart seit einiger Zeit den Tod vorhersagen – und manchmal, so scheint es, diesen Tod nicht schnell genug herbeisehnen können.

Denn der Druck, die Publikation von Büchern geschieht ja einerseits aufgrund von Marktüberlegungen, aber nicht allein:
In fast allen Sparten braucht die Publikation Förderer: private, Mäzene, Institutionen. Vor allem wissenschaftliche wie der Nationalfonds, der über die Vergabe von Forschungsgeldern
und damit auch über die Publikation von Forschungsergebnissen entscheidet. Ist es ein Zufall, dass im Nationalfonds die Anhänger von «Open Access» überwiegen, also der Zugänglichkeit wissenschaftlicher Werke im Internet. Für den Druck von Publikationen will der Nationalfonds bekanntlich kein Geld mehr ausgeben.

Das hat mit dem erdrückenden Gewicht von Naturwissenschaft, Technik und Informatik in der Forschungspolitik zu tun. Ein Gewicht, das sich abbildet auch in den Gremien des Nationalfonds.

Nun könnten die Geisteswissenschafter boshaft einwenden, dass viele Resultate der Naturwissenschaft und Technik bereits wieder überholt seien, bevor sie gedruckt erscheinen. Tatsächlich kann man sich leicht vorstellen, dass der ETH-Bibliothekar kaum mehr mit Büchern zu tun hat, sondern ein Datenmanager ist. Einer, der sich übrigens Gedanken machen muss, wie lange seine Daten in den virtuellen Datenwolken überhaupt greifbar sind – und was danach geschieht.

Das alles berechtigt ihn nicht, so hochnäsig über die Bedürfnisse der Benützer von Gemeinde- und Schulbibliotheken hinwegzusehen, wie es der Chef der ETH-Bibliothek tat. «Schrecklich» findet die neunjährige Vielleserin zu Hause die Vorstellung von einer Welt ohne Bücher, und der Vater ist froh, wenn er die rund 200 Bücher, die sie jährlich verschlingt, weder alle bezahlen noch aufräumen muss. Informationslücken per Google zu schliessen lernen die Kinder früh genug. Das Bücherlesen ersetzt es nicht.

Gottlieb F. Höpli

Der Publizist Gottlieb F. Höpli war Chefredaktor des St. Galler Tagblatts bis 2009. In dieser monatlichen Kolumne äussert er seine ganz persönliche Meinung.»

Tobias Schwarz behauptet im Blogpost auf netzpiloten.de vom 3.3.2016 unter dem Titel «Die Bibliothek wird als Ort der Arbeit neu gedacht«, Michael Hagner hätte eine Debatte ausgelöst und zitiert anschliessend die WirtschaftsWoche (Beitrag siehe oben):

«Mitte Februar löste der an der ETH Zürich tätige Wissenschaftsforscher Prof. Dr. Michael Hagner durch einen Gastbeitrag in der Neuen Zürcher Zeitung eine Debatte über die Zukunft von Bibliotheken in einer sich zunehmend digitalisierenden Gesellschaft aus. Hagner meint, nur in Bibliotheken mit Büchern einen Ausdruck von Zivilisation zu erkennen. Doch dies sind Bibliotheken auch ohne Bücher – und noch so vieles mehr.

Hagner warnt vor einer möglichen Alternative zu Bibliotheken durch “einen einzigen nationalen Server (…) auf dem sich jeder bedienen kann, und alle Bücher des Landes, da sie ja ohnehin niemanden mehr interessieren, in einem gigantischen Alpenbunker” gelagert sind. Er lehnt diesen Gedanken ab, ohne aber ein Argument dagegen formuliert zu haben. Dass er an nationale Server denkt, zeigt schon eine gewisse Rückständigkeit in seinem Denken. Wer das Internet mit Grenzen denkt, hat das Wesen eines globalen Netzwerks nicht verstanden.

Ähnlich sieht es aus bei Rafael Ball, dem Chef der ETH-Bibliothek. Er sieht Bibliotheken als reine Wissensspeicher an und erklärt sie für unnütz. Ball macht den vermeintlich häufigsten Fehler progressiver Entwicklungen: er vergisst den historisch gewachsenen Sinn einer Bibliothek. Beide verkennen, dass Bibliotheken mehr sind als Speicher gedruckten Wissens und andere Qualitäten gegenüber dem Internet entwickelt haben, die in einer digitalisierten Gesellschaft eine noch nicht geahnte Bedeutung erlangen werden.»

Im Tagesspiegel-Gastbeitrag von Andreas Degkwitz und Klaus Ceynowa vom 17.3.2016 mit dem Titel «Lasst uns weiter Bücher sammeln!» wird Bezug genommen auf Rafael Ball:

«Vor diesem Hintergrund erscheint mehr als skurril, wenn der Leiter der Bibliothek der ETH Zürich in einem kürzlich geführten NZZ-Interview äußert, in der Geschichte der Menschheit sei unglaublich viel „Mist“ geschrieben und publiziert worden, der nun in den Bibliotheken stehe; wer behaupte, dass Bücher ein Kulturschatz der Menschheit seien, liege falsch. Getoppt wird diese steile These durch die Behauptung: „Wer Inhalte sucht, braucht keine Bibliothek mehr.“

Ganz nebenbei: Die Bayerische Staatsbibliothek als große europäische Forschungsbibliothek erwirbt nach wie vor jährlich rund 130 000 Druckwerke – und würde gern, wenn der Etat es hergäbe, noch mehr beschaffen. Eine umfassende, den Geistes- und Lebenswissenschaften gleichermaßen gerecht werdende Informationsversorgung verlangt auch weiterhin die Erwerbung großer Mengen gedruckter Literatur – neben der Lizensierung oft kostspieliger elektronischer Journals und Datenbanken. Dies ist an der Bibliothek der Humboldt-Universität und an vielen weiteren wissenschaftlichen Bibliotheken nicht anders. (…)

Archive, Bibliotheken und Museen werden bestohlen, kaputt gespart, durch Krieg oder Naturkatastrophen zerstört – das ist schlimm genug! Doch dass Einrichtungen des kulturellen Erbes wegen des Internets obsolet seien, solche Einschätzungen sind an Kurzsichtigkeit kaum zu übertreffen. Dass wir auf diese Weise dabei sind, uns selbst ins „Aus“ zu spielen, mehr noch uns zu verramschen, scheint von denen, die sich dazu berufen sehen, solche Szenarien „vorzudenken“, weder bemerkt noch wahrgenommen zu werden – und das ist ein Skandal!»

Im 3sat-Kulturzeitbericht vom 17.3.2016 mit dem Titel «Quo vadis, Stadtbibliothek?» kommt Rafael Ball zu Wort (2:55-3:30).

H.-Chr. Hobohm nimmt im Blogpost «Offene Briefe im “Scherbenhaufen”» Bezug auf die Rafael Ball-Debatte:

«Die Informationswissenschaften (!) erleben im Moment eine schwere Zeit. Nach der “Causa Ball”, bei der der Direktor der UB der ETH Zürich die Bibliothekswelt gegen sich aufbrachte, kamen zeitgleich mehrere andere Hiobsbotschaften und traurige Nachrichten in unser Wissenschafts- und Praxisfeld. So verlieren wir mit dem Tod von Jürgen Krause und Rainer Hammwöhner zwei der prominentesten Personen und mit dem Institut für Informationswissenschaft der Uni Düsseldorf und der Zentralbibliothek für Medizin zeitnah mit einem Schlag zwei wichtige Institutionen.»

Rudolf Mumenthaler velinkt die digithek blog-Zusammenfassung der Ball-Debatte in seiner Präsentation vom 10.3.2016 «Die Bibliothek der Zukunft«.

Pia Rutishauser nimmt am 6.4.2016 Bezug auf die Ball-Debatte im Interview «100 Tage Bibliothek Zug«:

«Der Aufschrei der öffentlichen Bibliotheken nach dem Ball’schen Verdikt in der NZZ am Sonntag vom 7.2.2016 macht deutlich, wie wenig es bisher gelungen ist, den gesellschaftlichen Nutzen von Bibliotheken in der Öffentlichkeit zu verankern.»

L’Hebdo publiziert am 21.4.2016 das Ball-Interview auf Französisch unter dem Titel «Bibliothèque: au diable les livres!».

Heiner Barz schreibt am 26.5.2016 in der «Kolumne Professoren-Leben» unter dem Titel «Weg mit den Büchern?» u.a.:

«Ausgerechnet ein Bibliotheksdirektor hat angesichts des Siegeszugs digital verfügbarer Wissensbestände das Ende der klassischen Bibliothek verkündet. «Mit der Volksbildung sind die öffentlichen Bibliotheken gekommen, mit dem Internet gehen sie wieder. Ist das ein Problem?», fragte der Direktor der Bibliothek. Wahrscheinlich ist es richtiger vom Funktionswandel statt vom Ende der Bibliotheken auszugehen. Vielleicht sind wir gerade angesichts unüberschaubarer Informationsfluten immer mehr auf verlässliche Lotsen angewiesen, auf digitale Hilfsmittel und Einführungsangebote, die dabei helfen, das Relevante eines Fachgebiets vom Angebot kommerzieller Trittbrettfahrer zu unterscheiden. Und vielleicht brauchen wir gerade in Zeiten allgegenwärtiger Erreichbarkeit das Bibliotheksambiente als einen ein bisschen Ehrfurcht einflößenden Ort disziplinierter geistiger Arbeit. Gleichsam als symbolisches Funkloch.»

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