Paul Celan liest Gedichte aus allen bis dato veröffentlichten Bänden (9.10.1969)

Paul Celan liest Gedichte am 9.10.1969 in Jerusalem auf dichterlesen.net:

«Am 30. September 1969, knapp sieben Monate vor seinem Tod, reiste Paul Celan zum ersten Mal nach Israel. Obwohl er diese Reise am 16. Oktober frühzeitig abbrach, kam er in der folgenden Zeit immer wieder mit großem Enthusiasmus auf seinen Aufenthalt zu sprechen. Er traf Bekannte aus Czernowitz, unter ihnen vor allem Ilana Shmueli, mit der ihn dann eine intensive Liebe verband; traf aber auch Vertreter der neuen israelisch-hebräischen Dichtung wie David Rokeah, Jehuda Amichai oder Manfred Winkler. Celans Reise nach Israel war Begegnung mit der zerstörten Bukowiner Vergangenheit und zugleich Besuch einer so von ihm wahrgenommenen Selbst- und Erneutsetzung jüdischen Lebens mit eigener Sprache an seinem ältesten Ort.
Während seines Aufenthalts las er zweimal: am 15. Oktober in Tel Aviv und sechs Tage zuvor in Jerusalem. Letztere Lesung ist hier dokumentiert. „Ein gutes Lesen, ein gutes Zuhören dort“ sei es gewesen, schreibt Celan in einer kurzen Notiz an Ilana Shmueli. Jehuda Amichai und Manfred Winkler hatten die sehr gut besuchte Lesung mit ihren Übersetzungen von Gedichten Celans eingeleitet, anschließend richtete Gershom Scholem einen Empfang für den Dichter aus.
Im Vergleich mit früheren Aufnahmen liest Celan härter, geraffter, lässt vor allem die Versenden nicht mehr derart betont melodisch ausklingen. Obschon eine späte Lesung, gewichtet Celan seine frühen Veröffentlichungen wesentlich stärker (lediglich sechs der 21 Gedichte sind seinen letzten drei Bänden entnommen), ganz als wolle er sie noch einmal an neuem Ort erproben. Im Eröffnungsgedicht „Kristall“ inszeniert er seine Sprechsituation als Fremder: „Nicht an meinen Lippen suche deinen Mund, / nicht vorm Tor den Fremdling». Er endet mit dem Gedicht „Denk dir“, das während des Sechstagekriegs entstand und als Reaktion darauf verstanden wurde. Bereits 1967 war dieses Gedicht in israelischen Zeitungen gedruckt worden und Celan selbst hatte es aus Paris an einige israelische Freunde geschickt: „Denk dir: / der Moorsoldat von Massada / bringt sich Heimat bei, aufs / unauslöschlichste, / wider / allen Dorn im Draht.“»

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