Chinesisches Buch

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Bild 1: Beschriftung auf dem oberen Buchschnitt: 成语考 chengyu kao (man liest von rechts nach links). Chengyu sind «Sprichwörter» im Chinesischen. Kao heisst so viel wie prüfen oder nachschlagen. Ist wohl also eine Art Kürzel, damit schneller klar wird, worum es sich handelt (Erklärung von Ai-Linh Achermann)

Ein Buch im historischen Buchbestand der Mediothek der Neuen Kantonsschule Aarau (NKSA) stösst immer wieder auf Interesse: Es handelt sich um ein chinesisches Buch aus der Bibliothek des Töchter-Instituts und Lehrerinnen-Seminars (Vorgängerinstitutionen der NKSA), geschenkt im Jahr 1878. Es ist auf chinesischem Dünndruckpapier gedruckt mit chinesischer Fadenbindung.

Dr. Beat Hodler, NKSA-Geschichtslehrer und Schularchivar, hat in der 2014 erschienenen Schulgeschichte «Junge Schule lange Geschichte» auf S. 31-31 beschrieben, wem das Buch vorher gehörte und wie es in die NKSA-Mediothek gelangte (Text weiter unten).

Ai-Linh Achermann, Chinesisch-Lehrerin an der NKSA hat vor Kurzem von Wolfgang Behr, Professor für Sinologie mit dem Schwerpunkt traditionelles China an der Universität Zürich, Folgendes zum Inhalt des Buches in Erfahrung gebracht (via E-Mail):

«Es handelt sich um das Xinzeng youxue gushi qionglin 新增幼學故事瓊林 [etwa: Erweiterte Fassung des Waldes der Schmucksteine (=Best of, Digest) von Geschichten zum Gebrauch jugendlicher Lernender], ein Lehrbuch, in dem anhand von thematisch gegliederten didaktischen Geschichten aus dem Fundus der narrativen Tradition zuächst Tetralemmata/Sprichwörter (chengyu 成语) und von da aus einzelne Schriftzeichen für fortgeschrittene Lernende eingeführt werden. Autor der ursprünglichen, unerweiterten Version (elektronische Fassung hier: http://ctext.org/wiki.pl?if=gb&res=712262&remap=gb; schönes Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek hier als PDF downloadbar: http://tinyurl.com/h78pfcf) ist Cheng Yunsheng 程允升 (späte Ming-Zeit), ein nicht allzu bekannter Literat, vgl. https://zh.wikipedia.org/wiki/幼学琼林. Das Lehrbuch war recht erfolgreich im 18. und 19. Jahrhundert, man findet einige, auch bebilderte, Ausgaben in google.books, vgl. z.B. http://tinyurl.com/zszr7u3, http://tinyurl.com/h6bvk95) und Originalausgaben sind daher nicht besonders teuer in chinesischen Online-Antiquariaten erhältlich. Die vorliegende Fassung ist bearbeitet von Zou Wugang 鄒梧岡 (1691-1731) aus Fujian, der nach einer erfolglosen Beamtenlaufbahn ein ziemlich bekannter Verleger in der frühen Qianlong-Zeit wurde (http://blog.sina.com.cn/s/blog_e93998110102w1e0.html).»

chinesisches buch 3Bilder 3-4: Bucheigner-Angabe Ayun Kong

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Beat Hodler schreibt zur Geschichte des Buches (Text aus «Junge Schule, lange Geschichte», S. 31-32):

«Wer war Ayun Kong?

In der Mediothek findet sich ein altes Buch, das aufgrund der verwendeten Papierart ungewohnt leicht ist.
Wie und wann kam dieses Buch an unsere Schule? Eine Widmung eines gewissen Ayun Kong ergibt eine interessante Spur. Eine Recherche ergab folgende Informationen: Ayun Kong (Fussnote 1, 1845–1928) kam 1865 nach Basel, wo er zum Missionar ausgebildet wurde. 1871 wurde er im Dienst der Basler Mission nach China geschickt. Eine rege Korrespondenz im Archiv der Basler Mission dokumentiert einige Etappen auf seinem weiteren Lebensweg. So berichtet Ayun Kong, wie die Reise nach China verlief und wie er den Alltag in der südchinesischen Missionsstation Njenhangli erlebt (Fussnote 2). Offenbar war Ayun Kong der erste Chinese im Dienst der Basler Mission, der eine bedeutende Missionsstation leitete (Fussnote 3).
Ayun Kong muss dieses Buch im ersten Jahr seines Aufenthalts in der Schweiz einer Person im Umfeld der Basler Mission geschenkt haben.
Wie kommt das Buch aber von Basel nach Aarau? In einem historischen Abriss der Evangelischen Kapelle Aarau ist zu lesen: «Unter Anregungen vom Basler Missionshaus begann der Kaufmann Gottfried Hässig eine Versammlung […]. Dieser einfache Mann […] hat vom Jahre 1857 bis Frühjahr 1865 regelmässig die Versammlung gehalten, unterstützt besonders vom Basler Missionshause, zuerst in einem Hause am Ziegelrain.» (Fussnote 4) Viel mehr liess sich zu seiner Person nicht eruieren (Fussnote 5). Auf jeden Fall ist die Annahme plausibel, dass bei einem der erwähnten Kontakte ein Angehöriger der Basler Mission das Buch dem Gottfried Hässig schenkte. Die letzte Etappe lässt sich mithilfe des Jahresberichtes 1878 der Schule belegen. Dort wird vermerkt, eine Fräulein A. Hässig habe der Schule zwei chinesische Kalender und ein chinesisches Alphabet übergeben.
Dieses Dokument in der Mediothek der NKSA verweist also auf die Geschichte der Basler Mission und auf die Anfänge der heutigen Minoritätsgemeinde Aarau. Die Vorstellung der Schule als «Kontaktzone» macht hier durchaus Sinn. Darüber hinaus verweist das beschriebene Buch aber auch auf schulorganisatorische Veränderungen. Auf der Innenseite ist ein Stempel mit dem Aufdruck «Töchter-Institut und Lehrerinnen-Seminar» angebracht (Fussnote 6). Tatsächlich war in den 1870er-Jahren dem Töchterinstitut ein Lehrerinnenseminar angegliedert worden.
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1 Archiv der Basler Mission (Basel), Dossier B. V. 710. Zum Namen des Schenkenden gibt es übrigens unterschiedliche Versionen: Ayun Fat-lin Kong; Kong Fat-lin; Kong Ayun; Kong Fatlin (Ayun).
2 So beschrieb er medizinische Praktiken («Where do our Hakka farmers look for help in cases of illness? An essay on Hakka customs» (1887), Ebd.).
3 Im Bildarchiv der Basler Mission (http://www.bmpix.org) sind mehrere Fotos Ayun Kongs vorhanden.
4 Evangelische Kapelle Aarau (Hg.): Festschrift zur Feier des 50-jährigen Bestandes der Evangelischen Kapelle Aarau 1874–1924. Aarau 1924, 3.
5 Oehler, Robert: Stammliste der Hässig von Aarau. o. O. 1955 [Schreibmaschine, Kantonsbibliothek Aarau]. Die gesuchte Person könnte der «Negotiant» Daniel Gottfried Hässig sein, geboren 1810 (Ebd. Nr. 85, 28). 1879 wird in der «Argovia» ein Geschenk von Gottfried Hässig, Kaufmann in Aarau, verdankt: Palmblätter-Manuscript aus dem südlichen Indien, enthaltend ein Bruchstück aus Ramâyana. In: Argovia 10 (1879), Vereinschronik).
6 Auch in einem alten Katalog der Schulbibliothek ist das Buch nachgewiesen (als Nr. 558).»

Bilder 5-7: Buchrücken, vorderer Buchschnitt, oberer Buchschnitt:

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Bilder 8-9: Vorne ins Buch gelegtes chinesisches Alphabet mit Bucheigner-Angabe Ayun Kong

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Bilder 10-11: Schluss des Buches

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Bild 12: Anfang des Buches mit Bucheigner-Eintrag Ayun Kong

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Bild 13: Titelblatt

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Bilder 14-22: Erste Seiten des Buches

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Bilder 23-26: Ins Buch gelegtes separates chinesisches Alphabet

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